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Studie: Mit einer höheren Konzentration eines „Kälteschockproteins“ könnten Mäuse vor Demenzkrankheiten geschützt werden

News vom 23.03.2023

Ein deutsch-britisches Forschungsteam mit Beteiligung der Freien Universität Berlin hat in einer Studie einen Weg gefunden, Mäuse vor Neurodegeneration zu schützen. Die Forschenden, darunter ein Team des Biochemikers Prof. Dr. Florian Heyd von der Freien Universität, erhöhten über eine Form der Gentherapie die Konzentration eines sogenannten „Kälteschockproteins“ im Gehirn von Mäusen und bewahrten diese so vor den potenziell verheerenden Auswirkungen der Prionenkrankheit, die unbehandelt zum Verlust von Nervenzellen und der Gehirnfunktion führt. Die Forschenden bewerteten die Entdeckung als einen Schritt auf dem Weg, die schützende Wirkung der Kühlung des Gehirns zur Behandlung von Patienten mit akuten Hirnverletzungen und sogar zur Vorbeugung von Demenzerkrankungen wie Alzheimer zu nutzen. Die Ergebnisse wurden EMBO Molecular Medicine veröffentlicht.

Bis heute keine Therapie für neurodegenerative Erkrankungen

Neurodegenerative Erkrankungen, darunter Alzheimer und verwandte Demenzerkrankungen, sind heute die häufigste Todesursache in den Industrieländern – sie nehmen auch in den Entwicklungsländern rasch zu. Bis heute gibt es keine Behandlungen oder Interventionen, die die Krankheit sinnvoll verlangsamen oder verhindern. Da die Weltbevölkerung altert, werden diese Krankheiten eine zunehmend große Belastung für Familien, Gesundheitssysteme und Volkswirtschaften weltweit. Es werden dringend neue Behandlungen benötigt, um eine Ausweitung der Krankheit zu beeinflussen. Hier setzte die Studie an.

Wenn Körper stark abkühlen, erhöhen sie die Konzentration von RBM3, einem Molekül, das als Kälteschockprotein bekannt ist. Dieses Phänomen wurde erstmals bei Tieren im Winterschlaf beobachtet. Vermutet wird, dass das Protein während des Winterschlafs dazu beiträgt, das Gehirn vor Schäden zu schützen, und es dem Gehirn ermöglicht, weiterhin neue Synapsen zu bilden. Im Jahr 2015 wies ein Team um Prof. Dr. Giovanna Mallucci an der University of Cambridge bei Mäusen nach, dass RBM3 das Gehirn vor jenen Schäden schützen kann, die mit der Anhäufung falsch gefalteter Proteine einhergehen und die zu verschiedenen Formen von Demenz führen können, etwa Alzheimer und Parkinson sowie sogenannte Prionenkrankheiten, darunter die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit.

Kann ein Kälteschockprotein das Gehirn vor Demenz schützen?

Eine Hypothermie wird zur Behandlung von Patienten auf der Intensivstation eingesetzt und auch bei Neugeborener sowie Patienten mit traumatischen Hirnverletzungen. Patienten werden dabei ins Koma versetzt, und ihr Gehirn wird mit dem Ziel gekühlt, dieses vor Schäden zu bewahren. Dies ist jedoch mit Risiken wie Blutgerinnung und Lungenentzündung verbunden. Das Team der Freien Universität und der britischen Universität Cambridge ging der Frage nach, ob die Konzentration des Kälteschockproteins für die Behandlung von Patienten genutzt werden kann; die Forschenden wollten herausfinden, ob das Kälteschockprotein Möglichkeiten für eine sicherere Behandlung akuter Hirnverletzungen oder für einen Schutz des Gehirns vor Demenz bieten kann, ohne dabei die Körpertemperatur zu verändern.

In der Studie untersuchten die Wissenschaftler des UK Dementia Research Institute der Universität Cambridge und des Instituts für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, ob eine Form der Gentherapie, die so genannten Antisense-Oligonukleotide (ASOs), die Konzentration des Kälteschockproteins im Gehirn von Mäusen temperaturunabhängig erhöhen könnte – und sie somit schützen. Es erwies sich, dass das Gen, das die Produktion des Kälteschockproteins steuert, ein Schlüsselelement enthält. Sobald dieses Schlüsselelement mithilfe eines Antisense-Oligonukleotide entfernt oder „heruntergeregelt“ wird, kommt es zu einer lang anhaltenden Steigerung der Produktion des Kälteschockproteins RBM3 auch bei normaler Körpertemperatur.

Bei den meisten behandelten Mäusen blieben Neuronen erhalten

Um herauszufinden, ob dieser Ansatz das Gehirn schützen könnte, verwendeten die Forschenden Mäuse, denen Prionen verabreicht worden waren. Einigen dieser Mäuse wurde drei Wochen später eine einmalige Dosis des Antisense-Oligonukleotide (ASO) injiziert, während die anderen eine Kontrollbehandlung erhielten. Zwölf Wochen nach der Verabreichung der Prionen erkrankten die Mäuse, die die Kontrollbehandlung erhalten hatten, an der Prionenkrankheit, wobei fünf der sechs Mäuse einen umfangreichen Verlust von Neuronen im Hippocampus aufwiesen, einem für das Gedächtnis wichtigen Bereich des Gehirns. Bei den Mäusen, die das ASO erhalten hatten, sah es anders aus: Zur gleichen Zeit, in der die anderen Mäuse der Prionenkrankheit erlagen, hatten die mit ASO behandelten Mäuse doppelt so hohe RBM3-Werte. Bei sieben der acht mit ASO behandelten Mäuse waren die Neuronen im Hippocampus weitgehend erhalten.

Professor Giovanna Mallucci, die die Studie an der Universität Cambridge leitete, sagte: „Im Wesentlichen ermöglicht das Kälteschockprotein dem Gehirn, sich selbst zu schützen – in diesem Fall gegen die Schäden, die Prionen bei der Prionenkrankheit an den Nervenzellen im Gehirn verursachen können. Es war bemerkenswert, dass eine einzige Injektion mit dem ASO ausreichte, um diese Mäuse dauerhaft zu schützen und die Prionen daran zu hindern, die Gehirnzellen zu schädigen‘. Wenn sich die Ergebnisse auf den Menschen übertragen lassen, könnte dieser Ansatz nach Einschätzung des Forschungsteams große Auswirkungen auf die Behandlung einer Reihe von Erkrankungen haben. Von Nutzen sein könnten die Ergebnisse gleichermaßen bei Neugeborenen und Erwachsenen, die im Zusammenhang mit Herzoperationen, Schlaganfällen und Kopfverletzungen mithilfe therapeutischer Hypothermie behandelt werden müssten.

Langer Weg bis zur sicheren Therapie mit ASOs am Menschen

Professor Florian Heyd von der Freien Universität Berlin betonte, der Ansatz biete insbesondere die Aussicht, vor Krankheiten wie Alzheimer und Parkinson zu schützen, für die noch keine zuverlässigen Präventivmaßnahmen bekannt seien. „Wir sind noch weit davon entfernt, da unsere Arbeit nur an Mäusen durchgeführt wurde, doch wenn ein sicherer Einsatz von ASOs im Menschen möglich wird, um die Produktion vonRBM3zu erhöhen, könnte dies ein neuer Therapieansatz bei Demenzerkrankungen sein“, unterstrich der Biochemiker.

Unterstützt wurde die Forschung von der Freien Universität Berlin, der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie vom UK Dementia Research Institute, das seinerseits vom Medical Research Council, der Alzheimer's Society und Alzheimer's Research UK finanziert wird.

Studie/DOI:

https://www.embopress.org/doi/full/10.15252/emmm.202217157

Weitere Informationen und Interview-Wünsche

Prof. Dr. Florian Heyd, Institut für Chemie und Biochemie der Freien Universität Berlin, Tel.: 030 / 838 62938, E-Mail: florian.heyd@fu-berlin.de