Dies hängt von der Methode der Quantifizierung und der verwendeten Kategorien ab. Im Provenienzforschungsprojekt fokussieren wir uns auf folgende menschliche Gebeine aus der Sammlung, die uns bekannt sind:
- fünf (fast) vollständige Skelette,
- ca. 20 Schädel,
- vier Unterkieferknochen,
- einige Schädelfragmente und Zähne,
- zehn Lang- bzw. Röhrenknochen (Oberarmknochen, Oberschenkelknochen u.ä.),
- fünf Hand- bzw. Fußskelette,
- ein Kreuzbein
- zwei Brustbeine
- ein paraffinierter Fuß
- weitere organische Präparate (Nasspräparate, Mikroskopie-Slides)
Die menschlichen Gebeine waren in der Zoologischen Lehrsammlung teils nach tiersystematischer Logik organisiert (also menschliche Schädel neben denen anderer Primaten), teils nach einer Logik der vergleichenden Anatomie (zum Beispiel Vergleich von Gebissen, Vorder- oder Hinterextremitäten). Nun werden die menschlichen Gebeine in einem separaten, abschließbaren Schrank aufbewahrt.
Die Humanbiologie ist ein essenzieller Teil der Biologielehre und wird seit Jahrzehnten an der Freien Universität Berlin unterrichtet. Im Verlauf der Geschichte der Zoologischen Lehrsammlung gab es unterschiedliche Gründe für die Beherbergung menschlicher Gebeine. Erste Erwähnungen von Leihgaben menschlicher Präparate datieren auf die Zeit kurz nach Gründung der Lehrsammlung im Jahr 1949. Mit der Einrichtung einer Professur für Humanbiologie an der Freien Universität Berlin wurden Menschen bzw. deren sterbliche Überreste zum Forschungsgegenstand. Die Mehrzahl der menschlichen Gebeine, die heute Bestandteil der Zoologischen Lehrsammlung sind, stammen von dieser ehemaligen AG Humanbiologie, die 2010 aufgelöst wurde. Präparator*innen des Instituts für Biologie fertigten Präparate speziell für die Lehre an. Weitere Objekte kamen als dokumentierte Leihgaben von anderen Instituten, etwa aus der ehemaligen Biologie der Technischen Universität Berlin, in die Zoologische Sammlung der Freien Universität Berlin.
Die ehemalige AG Humanbiologie und die aktuelle AG Humanbiologie verwendeten menschliche Gebeine auf unterschiedliche Weise. Sie wurden in der Lehre beispielsweise zu folgenden Fachgebieten verwendet:
- Humanbiologie (unter der ehemaligen AG Humanbiologie): z.B. Vorbereitung auf Knochentestat, Demonstration der Nervenbahnen am Hirnpräparat
- Systematik und Evolution der Tiere: Vergleich eines menschlichen Schädels mit Affenschädeln für eine Stammbaumanalyse der Primaten, Demonstration der Variabilität menschlicher Schädel zur kritischen Beurteilung von Unterschieden in vorgeschichtlichen Knochenfunden
- Zoologie und Humanbiologie für Grundschulpädagog*innen: z.B. Demonstration der Merkmale des aufrechten Gangs am menschlichen Skelett
Die Herkunft der meisten menschlichen Gebeine lässt sich nur bis zum vorherigen Eigentümer, also dem Institut, das sie an die heutige Zoologische Lehrsammlung übergeben hat, nachvollziehen. Darüber hinaus ist die Dokumentation der Herkunft außerordentlich lückenhaft. Einige menschliche Gebeine waren Schenkungen von Privatpersonen oder Zahnarztpraxen. In keinem dieser Fälle ist die Herkunft eindeutig genug, um klar das informierte Einverständnis der Spender*innen zu bestätigen. Für einige menschliche Gebeine ist keinerlei Dokumentation vorhanden.
Die Präsenz menschlicher Gebeine in der Zoologischen Lehrsammlung und deren Verwendung in der Lehre ist ein Erbe der Tradition zoologischer Lehre in unserem Haus, das erst in der letzten Zeit im Rahmen der aufkommenden kritischen Diskussionen zu diesem Thema in Frage gestellt wurde. Der Diskurs über menschliche Gebeine in der Forschung und Lehre wurde am Institut zwar gelegentlich geführt, aber Ressourcen und Kompetenzen für ein Provenienzforschungsprojekt standen nicht zur Verfügung.
Wie bereits beschrieben, haben historisch bedingt menschliche Gebeine eine wichtige Rolle in der Forschung und Lehre der Biologie an der Freien Universität Berlin gespielt (z.B. in der ehemaligen AG Humanbiologie) und waren somit in der Zoologischen Lehrsammlung vorhanden. Die heutige AG Humanbiologie unter Leitung von Prof. Dr. Katja Nowick nutzt für ihre Forschung bioinformatische und molekularbiologische Ansätze. Dabei wird mit menschlichen Stammzellen und Hirnproben gearbeitet, die im Rahmen eines „informed consent“ gespendet wurden. Allerdings ist die humanbiologische Lehre (AG Nowick, Dr. Lieven) weiterhin breit aufgestellt und beinhaltet auch Anatomie und ähnliche Fachgebiete.
Da das Hinterfragen von Provenienz nicht immer so akut präsent war wie heutzutage, wurde im Sinne der Lehre bisher entschieden, menschliche Gebeine zu verwenden. Zudem kann das Betrachten echter menschlicher Gebeine in der humanbiologischen Lehre einen zusätzlichen Lernzweck haben, weil ein Modell in bestimmten Fällen kein gleichwertiger Ersatz ist. Mit der Zeit wurde die Lehre jedoch so gestaltet, dass immer häufiger mit Modellen gearbeitet werden konnte.
Durch den Antritt der Professur durch Katja Nowick (Juli 2017) wurde die Humanbiologie an der Freien Universität Berlin nach langer Zeit wiederbesetzt und neu ausgerichtet. Dr. Vladimir Jovanović übernahm ab 2018 die Zuständigkeit für Lehrinhalte und -materialien des Humanbiologie-Praktikums. Anne Hartleib war als Tutorin in die Lehre involviert. Auf Anregung dieser beiden Personen wurde die Frage nach der Herkunft und der Verwendung der menschlichen Überreste in der Arbeitsgruppe erstmals thematisiert.
Dr. Alexander Lieven, seit 2016 Ansprechpartner für die gesamte Zoologische Sammlung, die auch mehrere Tausend Tierpräparate enthält, hat die Neuorganisation der humananatomischen Präparate für die Arbeitsgruppe Nowick unterstützt und die Sammlung ebenso wie ihre Dokumentation für Fragen nach der Provenienz zugänglich gemacht.
Dr. Vladimir Bajić kam 2020 als PostDoc mit dem Fachgebiet humane Populationsgenetik in die Arbeitsgruppe und bereicherte die Diskussion mit seinem Fachwissen über ethische Fragen in Bezug auf historische Unrechtskontexte. Aufgrund moralischer Bedenken verzichtete er darauf, menschliche Überreste in der Lehre zu verwenden.
Die Masterstudentin Vanessa Hava Schulmann stieß im Herbst 2021 als Tutorin für Humanbiologie zur Arbeitsgruppe hinzu. Sie erklärte sich bereit, ehrenamtlich zur Herkunft der menschlichen Gebeine in der Zoologischen Sammlung zu recherchieren und sich im Bereich Provenienzforschung und Anthropologie selbstständig weiterzubilden, weil dieses Fachwissen am Institut nicht in ausreichendem Maße vorhanden war. Seit 2023 betreut sie das Projekt als wissenschaftliche Mitarbeiterin.